Dienstag, 21. April 2009

Wortverankerungen

Schon seit mehreren Wochen hängt dieses Plakat am Willisauer Bahnhof. Ich vergesse es immer wieder. Es verfolgt mich nicht. Ich vergesse seine Aussage, die einzelnen Wörter, den Sinn, der mir nicht aufgehen will, sofort wieder, kaum bin ich um die nächste Ecke gebogen oder in den nächsten Zug gestiegen. Die Agentur C, die für diese Art von "Werbekampagne" verantwortlich zeichnet, hat ihr Ziel (ich zitiere: "Die Agentur C möchte, dass alle Menschen Gottes Realität und Erfahrbarkeit erleben und mit ihm in Beziehung treten") in meinem Fall offenbar nicht erreicht.
Jedesmal, wenn ich auf einen Zug warte, starre ich das Plakat an und wundere mich von neuem. Was soll das bedeuten? Wie soll ich das verstehen: "Es ist besser, auf Gott zu vertrauen, als sich auf Menschen zu verlassen"?
Hätte ich in den letzten drei Monaten auf Gott vertraut und mich nicht auf Menschen verlassen, wäre ich heute nicht mehr hier. Obwohl ich fast täglich in den Willisauer Kirchen sitze, habe ich nicht das Gefühl, Gott würde etwas für mich tun. Weder kann er mein Heimweh lindern, noch kennt er sich aus mit Schuhmachervokabular oder dem grammatikalischen Geschlecht von Flurnamen in den Napfabdachungen. Wie soll ich hier (hier oder anderswo - im Moment bin ich hier) leben und mich nicht auf Menschen verlassen? Nur auf Gott vertrauend? Ohne mich auf Menschen zu verlassen? Auf Menschen wie die Schuhfrau, die mich einen ganzen Nachmittag lang in ihrer Werkstatt herumstehen lässt, damit ich endlich begreife, was sie tut. Wie den Orgelspieler, den ich mittlerweile höre, ohne in der Kirche sitzen zu müssen, denn meine Fenster lassen sich nach innen öffnen. Wie die Verlegerin, die mir einen Fototermin erlässt und den Abgabetermin um zwei Wochen hinausschiebt. Wie die Grafikerin, die als einzige weiß, dass es das Guon heißt und die Gulp. Wie die Geigerin, die mir einen Tisch am Fenster ihres Wohnzimmers zur Verfügung stellt. Wie die alte Schuhmacherfrau, die Bärlauchsuppe kocht und Erdbeeren schnippelt? Wie der alte Schuhmacher, der mich belehrt, dass seine Schuhmacherschürze nie Taschen gehabt habe, weder außen noch innen. Die ließ er immer wegtrennen, weil sie unpraktisch sind und sich darin nur Dreck ansammelt. Wie die Schuhfrau, die richtig bemerkt, dass ich für das, was ich mir vorgenommen habe, nicht die richtigen Schuhe an den Füßen trage. Wie ... Wie Wolfgang, der mich auch aus China jeden Tag anruft und fragt "wieviele Seiten hast du heute geschrieben?"

Die Agentur C hat ein Siebenjahresprogramm: "In sieben Jahren Gottes Wort in der Schweiz verankern". Von September 2005 bis März 2008 lief die erste Phase: "Gottes Charakter vorstellen". Die zweite Phase steht unter dem Motto "Gottes Liebe und Treue Lehren". Sie dauert bis September 2010. Danach folgt die letzte Phase, "Gottes Gebote bekannt machen" Im Jahr 2012 ist soll das Wort Gottes in der Schweiz verankert sein.

Ich habe ein Viermonateprogramm. Ein Buch schreiben. Der Willisauer Bahnhof wird gerade umgebaut, behindertengerecht mit Fahrstuhl ausgestattet und dergleichen mehr. Im Moment wirkt er sehr unübersichtlich und voller Stolpersteine. Ich verlasse mich auf Menschen und freue mich, wenn der Zug nach Menznau pünktlich einfährt. Oder wenn ich den Weg durch die Unterführung auch nach der nächsten Bauphase wieder finde.

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